Der historische Metronom-Gebrauch



 
              
Metronom von Franz Liszt im Liszt-Haus von Weimar*                              Metronom neben "Hallberger Prachtausgabe" von I. Moscheles                                                                                                                                                                                                                Fotos: A.J. Grah                                                                                   


Der historische Gebrauch des Metronoms in Verbindung mit den historischen Metronomzahlen führt zu den originalen, historischen Tempi !!



Die beiden Hauptquellen zum historischen Gebrauch des Metronoms
, die nun hier erscheinen, sind einerseits die historische Gebrauchsanweisung in englischer Sprache, hier als Fotokopie des Faksimile aus dem Archiv der "Gesellschaft der Musikfreunde" in Wien und andererseits die Besprechung der deutschen Fassung in der "Allgemeinen Musikalischen Zeitung", Leipzig, vom Juni 1817.

Die Quintessenz beider Quellen ist, dass eine musikalische Zeit, wie z.B. Halbe-Note = 84, aus 2 Ticks des Metronoms, also aus einer Hin- und Herbewegung des Pendels besteht, und nicht aus 1 Tick, was dem heutigen Gebrauch des Metronoms  entspricht! Diese Anwendung gilt für alle Tempobezeichnungen, vom Largo bis hinauf zum Prestissimo.
Dies steht im strengen Gegensatz zu der Theorie des Musikforschers Willem Retze Talsma
(mehr dazu siehe Fussnote Nr. 1).




Die entscheidenen Textstellen sind in der Gebrauchsanweisung in englischer Sprache (siehe unten) ab Punkt 4 bis einschließlich Punkt 5 (S.126 unten bis Ende des Texts S.127) und in der "Allgemeinen Musikalischen Zeitung" (siehe darauffolgend unten) ab Mitte der Spalte 420 bis 421 (Textstelle von "Nun beruht es auf dem Componnisten.....bis ..."Mälzels Metronom: Halbe-Note 84") zu finden. Dieser Text wird in der Radiosendung von DRadio Wissen (2013) mit dem Titel "Entschleunigung - Viel zu geschwind" vorgelesen.

In beiden Quellen wird beschrieben, "dass eben die Theile eines Takts (engl.: "parts") laut angeschlagen werden" (Zitat AMZ), und dass diese Takt-Teile z.B. in einem 2/4-, 3/4 und C- Takt, bzw. 4/4-Takt, die Viertel-Noten sind. Im 6/8- und 3/8-Takt sind es die Achtel-Noten.

Ferner wird beschrieben, dass die musikalische Zeit, auch Bewegung genannt, im Adagio durch Achtel-Noten, im Andante durch Viertel-Noten, im Allegro durch Halbe-Noten und im Presto durch Ganze-Noten bezeichnet wird.

In dem darauffolgenden Beispiel (Punkt 5 der Gebrauchsanweisung in englischer Sprache) wird ein Allegro im C-Takt bzw. 4/4-Takt mit der Zahl 80 gewählt.
Da es ein Allegro ist, schreibt man also Halbe-Note = 80 (später 84 wegen Tempoerhöhung), das Metronom tickt aber im 4/4-Takt die beiden Viertel-Noten.
Die Textstelle in englischer Sprache dazu:"...., each beat ( nicht "each single beat", was 4 Zeilen später erscheint, daher hier Übersetzung eher mit "jeder Grundschlag") falls in with the degree of quickness desired for one minim (für eine Halbe-Note) or two crotches (oder zwei Viertel-Noten).

In der Gebrauchsanweisung in englischer Sprache wird dann unter Punkt 5 noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, das jeder "EINZELNE Schlag oder Tick" (engl.: "SINGLE beat or tick" ,bewußt durch Großschreibung hervorgehoben), einen Takt-Teil der angestrebten Zeit formt (engl.:"forms a part"), in diesem Fall des 4/4-Takts also die Viertel-Note der angestrebten Zeit (engl.:" "intended time") eines Allegros mit Halbe-Note = 84 (84 nach Tempoerhöhung), und dass dieser Takt-Teil (in diesem Fall eben die Viertel-Note) auch als solcher gezählt werden soll ( engl.: " and is to be counted as such"). Eingeleitet wird der Satz durch die Feststellung, dass in diesem Fall des Beispiels sowie in jedem anderen Fall der Tempi dieses Prinzip gilt. Der ganze Satz lautet also: " it being well understood, that in this, as in every other case, each SINGLE beat or tick forms a part of the intended time, and is to be counted as such;"!

Die Gebrauchsanweisung grenzt andererseits aber einen falschen Gebrauch für den Fall, dass ein Musikstück zu langsam würde (doppelt zu langsam), dahingegend ab, dass dieser Takt-Teil (also die Viertel-Note) aber nicht aus 2 Schlägen bestehen darf ( engl.: "; but not the two beats produced by the motion from one side to the other").

Nach dieser Schlußbemerkung der Gebrauchsanweisung ist nun anhand dieses Beispiels klar:

Bei Allegro Halbe-Note = 84 im C-Takt, bzw. 4/4-Takt, sind hier die einzelnen Schläge des Metronoms die Viertel-Noten!!

Quintessenz: Eine musikalische Zeit, wie z.B. Halbe-Note = 84, besteht immer aus 2 Ticks des Metronoms, also aus einer Hin- und Herbewegung  des Pendels.

Die einzelnen Schläge sind hier nicht die Halben-Noten, was heutzutage unserer Lesart der Metronombezeichnung entsprechen würde.   



Es gibt also einen "modernen" Gebrauch des Metronoms, ca. ab dem Jahr 1900 (z.B. die Metronomzahlen von Béla Bartók), und es gibt einen "historischen" Gebrauch des Metronoms, von 1815 bis ca.1890.

Die "historischen Metronomzahlen" von 1815 bis 1890 von so bedeutenden Protagonisten wie Ludwig van Beethoven, Robert Schumann, Frédéric Chopin, Carl Czerny und Ignaz Moscheles, um nur die wichtigsten Herausgeber von den historischen Metronomzahlen zu nennen, müssen daher auf den "historischen Gebrauch" des Metronoms bezogen werden, da sonst die Tempi viel zu schnell sind (doppelt zu schnell!), oder wie Wolfgang Amadeus Mozart schon 1778 bei zu schnellen Tempi, lange vor der Erfindung des Metronoms, in einem Brief sich beklagte: "Viel(l) zu geschwind"!


Fussnote Nr. 1: Der Musikforscher Willem Retze Talsma ist der eigentliche Wiederentdecker des historischen Gebrauchs des Metronoms! Er beschreibt diesen Gebrauch in seinem Buch: "Wiedergeburt der Klassiker, Band 1, Anleitung zur Entmechanisierung der Musik, Wort und Welt Verlag Innsbruck 1980" auch mittels der englischen Gebrauchsanweisung, die nachfolgend abgedruckt ist. Fatalerweise begeht er dann den grossen Fehler, dass er diesen Gebrauch nur auf die mittleren und hohen Tempi bezieht, diesen aber gleichzeitg bei den langsamen Tempi (Largo, Adagio und Andante) grundsätzlich ausschließt und für diese Tempobezeichnungen den üblichen, modernen Gebrauch des Metronoms empfiehlt. Dieses Splitting des Gebrauchs ist in der unten aufgeführten englischen Gebrauchsanweisung mit keinem Wort erwähnt oder erkennbar!

Grete Wehmeyer schloss sich anfänglich in ihren Büchern und Vorträgen auch der Theorie von Willem Retze Talsma an. Im Jahre 1993 bis 1995 jedoch begleitete sie mit Fernsehdokumentationen im WDR 3 die beiden Produktionen der Mozart - Opern "Die Entführung aus dem Serail" und "Cosi fan tutte" (siehe Menü "Projekte"), bei denen alle Tempobezeichnungen auf den historischen Gebrauch des Metronoms bezogen waren. Von da an war auch sie überzeugt, dass es ein Splitting des Gebrauchs nicht gibt.
Dennoch ist man beiden zu grossem Dank verpflichtet, weil sie erst durch ihre Bücher und ihr Engagement die Diskussion über die "originalen, historischen Tempi" (bei ihnen werden sie "Originaltempi" genannt) in Gang gesetzt haben.


* Kommentar zum Bild oben links:

Franz Liszt brauchte für die Aufführung der "Großen Hammerklaviersonate" op. 106 von Ludwig van Beethoven nach eigenen Angaben fast 1 Stunde.
Die Metronomzahlen zu allen Sätzen dieser Sonate stammen von Ludwig van Beethoven höchstpersönlich. Diese Sonate ist die einzige Klaviersonate, die er metronomisiert hat.
Nur wenn man diese Metronomzahlen in Beziehung setzt zum historischen Gebrauch des Metronoms im Sinne der Hin- und Herbewegung des Pendels für die jeweilige, musikalische Zeit (2 Ticks), kommt es zu der Aufführungsdauer von 1 Stunde. 
Franz Liszt wußte noch sehr genau, wie er sein Metronom (siehe Bild oben) anzuwenden hatte.

Hörproben der originalen, historischen Tempi